25. Juli 2023 | Folgen der Covid-19-Pandemie
Die Pandemie hat in Deutschland keinen Quiet-Quitting-Trend ausgelöst
Michael Göschl , Philipp Grunau , Enzo Weber , Stefanie Wolter
Ein Jahr nach dem Beginn der Covid-19-Pandemie kam es ab dem Frühjahr 2021 zu einer arbeitnehmerseitigen Kündigungswelle in den USA – dem sogenannten „Big Quit“, oft auch als „Great Resignation“ bezeichnet. Die Gründe hierfür waren vielfältig. Der Pandemie wird aber die Rolle eines Katalysators zugeschrieben. Im Gegensatz zu den USA kam es in Deutschland jedoch zu keiner Kündigungswelle, ein „Big Quit“ blieb aus (lesen Sie dazu einen 2022 erschienenen Beitrag von Christof Röttger und Enzo Weber in der Ökonomenstimme).
Vom „Big Quit“ zum „Quiet Quitting“?
In der Zwischenzeit sind auch die Kündigungszahlen in den USA rückläufig. Der „Big Quit“ wurde abgelöst von der Diskussion um „Quiet Quitting“, also einem „stillen Kündigen“. Popularität erlangte der Ausdruck zunächst durch die Social-Media-Plattform TikTok, bekam aber schon bald auch die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit. Bei diesem Trend geht es nicht darum, dass Beschäftigte den Job kündigen, sondern zwar die vertraglich festgelegten Aufgaben erfüllen, sich aber nicht darüber hinaus engagieren.
Die in der Debatte kursierenden Definitionen von „Quiet Quitting“ weichen jedoch durchaus voneinander ab – oftmals sogar eklatant. Dabei stehen sich zwei unterschiedliche Auslegungen dieses Phänomens gegenüber:
- Einmal das Phänomen, dass Beschäftigte zugunsten von Freizeit und Familie kürzertreten möchten, jedoch mit ihrem Arbeitgeber grundsätzlich zufrieden sind und ihren Job durchaus motiviert erfüllen (im Folgenden: „Quiet Quitting“). Hier spielt auch die Debatte um geänderte Präferenzen der sogenannten „Generation Z“ eine Rolle.
- Hiervon abzugrenzen ist die „innere Kündigung“, bei der sich Beschäftigte nicht mehr mit ihrer Arbeit identifizieren und ihre Leistung daher deutlich reduzieren.
Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend mehrere Indikatoren analysiert, die im Zusammenhang mit „Quiet Quitting“ von Bedeutung sind. Die Ergebnisse beruhen auf wiederholten Befragungen von Beschäftigten privatwirtschaftlicher Betriebe mit mindestens 50 Beschäftigten in Deutschland (siehe Infokasten „Daten und Methoden“). Ein Vorteil dieser Datengrundlage sind die sogenannten Panelfälle, also Beschäftigte, die an mindestens zwei Befragungen teilnahmen, denn nur so lassen sich Veränderungen im Zeitverlauf adäquat untersuchen.
Die hier relevanten Indikatoren lassen sich in zwei Kategorien unterteilen:
- Einstellungsvariablen wie die Identifikation mit der Tätigkeit (englisch: engagement), die Bindung an das Unternehmen (englisch: commitment) oder die Präferenz dafür, Berufs- und Privatleben zu trennen
- Verhaltensvariablen zur Arbeitszeit und Arbeitsintensität, wie Überstunden, vertragliche Arbeitszeit, Arbeitseinsatz und Hilfsbereitschaft gegenüber Kolleg*innen.
Diese Unterteilung bietet zwei Vorteile. Erstens lassen sich dadurch Zusammenhänge zwischen Einstellungs- und Verhaltensvariablen untersuchen. Zweitens erlaubt sie es, zwischen Quiet Quitting im Sinne von einer Präferenzverschiebung hin zu mehr Freizeit und innerer Kündigung zu unterscheiden.
Bis zur Corona-Krise waren Engagement für und Bindung an den Arbeitgeber rückläufig
Zunächst ist festzustellen, dass die Identifikation der Beschäftigten mit ihrer Tätigkeit (Engagement) und insbesondere ihre Bindung an den Arbeitgeber zwischen 2013 und 2019 stetig abgenommen haben (siehe Abbildung 1). Während der Pandemie setzte sich dieser Trend jedoch nicht fort. Das Engagement nahm 2021 wieder leicht, die Arbeitgeberbindung sogar deutlich zu. Da das „Quiet Quitting“-Phänomen meist mit jüngeren Beschäftigten in Verbindung gebracht wird, wurde zusätzlich untersucht, ob die jüngere, nach 1990 geborene Generation generell ein niedrigeres Engagement und eine niedrigere Bindung aufweist. Tatsächlich, so das Ergebnis der Analysen, weist diese sogar eine höhere Bindung und auch ein höheres Engagement auf als die älteren Jahrgänge. Die Präferenz für eine Trennung von Beruflichem und Privatem wiederum hat sich durch die Pandemie kaum verändert. Somit liefern diese Indikatoren keine Anhaltspunkte für einen durch die Pandemie ausgelösten oder verschärften „Quiet Quitting“-Trend in Deutschland.
Da sich die Einstellung der Beschäftigten nicht zwangsläufig in deren Verhalten widerspiegelt, werden im Folgenden auch drei Verhaltensparameter betrachtet (siehe Abbildung 2). Hier zeigt sich bei den geleisteten Überstunden ein insgesamt abnehmender Trend (von 4 Stunden und 9 Minuten im Jahr 2013 auf 3 Stunden und 13 Minuten im Jahr 2021). Er dürfte allerdings insbesondere im Jahr 2021 auch den pandemiebedingten Arbeitsausfällen geschuldet sein. Bei Arbeitseinsatz und Hilfsbereitschaft gegenüber Kolleg*innen ist hingegen kein klarer Trend erkennbar. Insofern lässt sich auch aus den Verhaltensindikatoren keine durch die Pandemie ausgelöste oder verstärkte Tendenz hin zu „Quiet Quitting“ ableiten.
Einstellungsänderungen führen nicht dazu, dass die Betroffenen mehr oder weniger Überstunden leisten
„Quiet Quitting“ würde implizieren, dass die Betroffenen ihre Arbeitszeit und ihren Arbeitseinsatz reduzieren, auch wenn der Arbeitsanfall unverändert ist. Daher wird im Folgenden über die rein deskriptive Beschreibung hinaus die Frage erörtert, inwiefern ein entsprechendes Verhalten mit den hier betrachteten Einstellungsvariablen (Commitment, Engagement und Präferenz für eine Trennung von Beruf und Privatleben) zusammenhängt. Dabei werden Einflüsse anderer Merkmale nach Möglichkeit herausgerechnet.
Wie bereits erwähnt, ging die Zahl der Überstunden bis 2019 zurück. Wenig überraschend machen Beschäftigte in Leitungspositionen mehr Überstunden als der Durchschnitt, Beschäftigte mit Kindern weniger. Bemerkenswert ist indes, dass weder Engagement, noch Commitment, noch die Präferenz für eine Trennung von Beruf und Privatleben signifikant mit der Zahl der Überstunden oder der vertraglichen Arbeitszeit korrelieren. Anders ausgedrückt: Ändert eine Person ihre Einstellung zur Trennung von Beruf und Privatleben, führt dies nicht dazu, dass sie infolgedessen mehr oder weniger Überstunden leistet.
Beschäftigte mit geringerem Engagement arbeiten weniger effizient
Demgegenüber scheint es einen Zusammenhang mit dem Arbeitseinsatz zu geben. Vor allem eine Zunahme des Engagements geht mit einem höheren Arbeitseinsatz und einer stärkeren Hilfsbereitschaft gegenüber Kolleg*innen einher. Im Umkehrschluss schlägt sich ein sinkendes Engagement in einem geringeren Arbeitseinsatz, nicht aber in einer kürzeren Arbeitszeit nieder. Dies legt den Schluss nahe, dass Beschäftigte mit geringerem Engagement weniger effizient arbeiten.
Die Zahl derjenigen, die eine bessere Work-Life-Balance anstreben, hat sich kaum verändert
Im Folgenden wird der Zusammenhang zwischen Engagement und Commitment (Bindung) näher beleuchtet (erneut unter Kontrolle von anderen Merkmalen). Dahinter steht folgende Überlegung: Eine stärkere Fokussierung auf das Privatleben (also ein Quiet Quitting im eingangs definierten Sinn) würde sich nur in einem abnehmenden Engagement, nicht aber in einer abnehmenden Bindung an den Arbeitgeber niederschlagen. Bei der inneren Kündigung sollten sich dagegen sowohl das Engagement als auch die Bindung verringern.
Wie bereits dargelegt, haben sich beide Merkmale in den letzten Jahren ähnlich entwickelt. In der Tat lässt sich ein starker Zusammenhang feststellen: Ein geringeres Engagement ging im Schnitt auch mit einer geringeren Bindung an das Unternehmen einher. Zudem zeigt sich: Bei Beschäftigten, die großen Wert auf die Trennung von Beruf und Privatleben legen, ist die Identifikation mit der Arbeit und die Bindung an das Unternehmen besonders schwach ausgeprägt. Insgesamt lässt sich daraus schlussfolgern, dass „Quiet Quitting“ als reiner Bedeutungsgewinn des Privatlebens bisher kaum eine Rolle spielt.
In der Tat lässt sich feststellen, dass eine höhere Präferenz für die Trennung von Beruflichem und Privatem isoliert betrachtet – also wenn sich Engagement und Bindung nicht ändern – den Arbeitseinsatz leicht steigen lässt. Eine hohe Präferenz für die Trennung von Beruflichem und Privatem an sich schmälert den Arbeitseinsatz also nicht, sofern sie nicht mit weniger Engagement und Bindung einhergeht. Letzteres ist nach den vorliegenden Daten aber üblicherweise der Fall.
Fazit
In der öffentlichen Berichterstattung wird in jüngster Zeit der Eindruck vermittelt, dass sich im Zuge der Covid-19-Pandemie eine „Quiet Quitting“-Mentalität in Deutschland ausgebreitet habe. Die hier präsentierten Ergebnisse stützen diese Einschätzung nicht. So gab es zwar sowohl beim Engagement für als auch bei der Bindung an das Unternehmen vor der Pandemie einen kontinuierlichen Rückgang- Dieser Trend wurde jedoch zuletzt gestoppt oder hat sich sogar umgekehrt.
Des Weiteren lässt sich keine Evidenz für ein „Quiet Quitting“ finden, bei dem Beschäftigte zwar zugunsten ihres Privatlebens etwas kürzertreten wollen, aber nach wie vor eine hohe Bindung an das Unternehmen aufweisen. Vielmehr lässt sich empirisch nur ein paralleler Rückgang von Bindung und Engagement in den Jahren vor der Pandemie beobachten, der sich aber während Pandemie nicht fortgesetzt hat. Dies wirft die Frage auf, ob es „Quiet Quitter“ nicht schon immer gab und dieses Phänomen nur anders bezeichnet wurde, etwa als „Dienst nach Vorschrift“ oder „innere Kündigung“.
Tatsächlich liefert auch die Gallup-Studie, die die emotionale Bindung an das Unternehmen analysiert, und auf die sich viele Beiträge zu diesem Thema berufen, keinen wissenschaftlichen Beweis für diesen Trend. Denn bei genauerer Betrachtung der Gallup-Daten fällt auf, dass der dort ausgewiesene, vermeintlich hohe Anteil an „Quiet Quittern“ eigentlich kein aktuelles Phänomen darstellt. Im Gegenteil: Die derzeitige Höhe des Anteils bewegt sich tendenziell im Durchschnitt der letzten beiden Jahrzehnte und stellt somit keine Besonderheit dar. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei „Quiet Quitting“ eher um einen aktuellen Hype in den Social Media als um eine tatsächliche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt handelt.
Dennoch sollten Arbeitgeber den Rückgang von Engagement und Bindung, der in den Jahren vor Corona zu beobachten war, ernst nehmen und versuchen, beides wieder zu stärken. Gerade angesichts der von Arbeitskräfteknappheit und Transformation geprägten Situation auf dem Arbeitsmarkt könnten flexible Arbeitszeitmodelle und Mobilarbeit Ansatzpunkte liefern, um Motivation, individuelle Arbeitsbedingungen und Entwicklungsperspektiven ihrer Beschäftigten zu verbessern.
Ob die durch die Pandemie verstärkte Flexibilisierung der Arbeitswelt zu einer Trendumkehr bei Engagement und Bindung beitragen kann, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. Dazu bedarf es aktuellerer Daten, die derzeit noch nicht zur Verfügung stehen.
Daten und Methoden
Datengrundlage ist das Linked Personnel Panel (LPP), eine zweistufige Panelbefragung von Betrieben und deren Beschäftigten, die im Zwei-Jahres-Rhythmus stattfindet. Die erste Beschäftigtenbefragung wurde 2013 durchgeführt, die aktuellste stammt aus dem Jahr 2021, woraus sich fünf Wellen ergeben. Die Befragung ist repräsentativ für Betriebe der deutschen Privatwirtschaft mit mindestens 50 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Ruf et al. 2022).
Bei Engagement und Bindung an den Arbeitgeber handelt es sich um zwei Indexvariablen, die durch mehrere Frageitems erhoben werden. Ersteres wird durch neun Aussagen abgefragt (zum Beispiel „Ich bin von meiner Arbeit begeistert“). Die fünf Antwortmöglichkeiten spiegeln die Häufigkeit des Empfindens wider und reichen von „Jeden Tag“ bis „Nie“. Die Bindung an das Unternehmen wird durch sechs Zustimmungsfragen gemessen (zum Beispiel „Ich fühle keine emotionale Bindung an diesen Betrieb“). Auch hier gibt es fünf Antwortmöglichkeiten, welche von „Trifft voll und ganz zu“ bis „Trifft gar nicht zu“ reichen. Weiterführende Informationen zu den beiden Indexvariablen finden Sie in einer Publikation von Kampkötter et al. aus dem Jahr 2016.
Beim Arbeitseinsatz beziehen wir uns einerseits auf die Variable „Arbeitseinsatz im Vergleich zu Kollegen“ (nur von der zweiten bis zur vierten Welle erhoben; siehe hierzu Ruf et al. 2020), andererseits auf das Item „Kollegialität: Kollegen helfen“. Die Bedeutung der Trennung von Berufs- und Privatleben ist ebenfalls eine Indexvariable, welche aus vier Items besteht und seit der dritten Welle erhoben wird.
Die Abbildungen 1 und 2 basieren auf Panelregressionen mit fixen Effekten. Zur besseren Lesbarkeit werden die Werte anschließend auf den Ausgangsjahr normiert. Die Werte lassen sich interpretieren als Änderung der Einstellung einer Person gegenüber dem Ausgangswert in Prozentpunkten.
In den Regressionen werden („störende“) personen- und zeitkonstante Einflüsse herausgerechnet. Außerdem kontrollieren wir für folgende Einflussgrößen: Alter, Alter quadriert, Bruttogehalt, Sonderzahlungen, Partner, Anzahl Kinder, Homeoffice, Erhebungsmodus, Leitungsposition, Befristung, Weiterbildung, Mitarbeitergespräch, Jahr, Behandlung durch Vorgesetzte(n) (Vertrauen und Anleitung).
In aller Kürze
- Im Zeitraum von 2013 bis 2019 hat die Identifikation der Beschäftigten mit ihrer Tätigkeit (Engagement) und ihre Bindung an den Arbeitgeber (Commitment) kontinuierlich abgenommen. Während der Corona-Pandemie setzte sich dieser Trend aber nicht fort.
- Der Rückgang des Engagements oder der Bindung an das Unternehmen wirkte sich negativ auf die Arbeitsintensität, nicht jedoch auf die Arbeitszeit aus.
- Eine geringere Identifikation mit der Tätigkeit ging in der Regel mit einer geringeren Bindung an das Unternehmen einher. Beides ist auch mit einer höheren Präferenz für die Trennung von Beruflichem und Privatem verbunden.
- Somit spielte die neue Auslegung von „Quiet Quitting“, wonach Personen zwar kürzertreten wollen, aber trotzdem eine hohe Bindung an das Unternehmen aufweisen, empirisch keine nennenswerte Rolle.
- Insgesamt liefern unsere Daten keine Evidenz für einen neuen Trend, wie er mit dem Schlagwort vom „Quiet Quitting“ verbunden wird.
Literatur
Kampkötter, Patrick; Mohrenweiser, Jens; Sliwka, Dirk; Steffes, Susanne; Wolter, Stefanie (2016): Measuring the use of human resources practices and employee attitudes. The linked personnel panel. In: Evidence-based HRM, Jg. 4, H. 2, S. 94-115.
Röttger, Christof; Weber, Enzo (2022): Es gab keinen Big Quit in Deutschland. In: Ökonomenstimme, 23.06.2022.
Ruf, Kevin; Mackeben, Jan; Wolter, Stefanie; Grunau, Philipp (2022): LPP – Linked Personnel Panel 1221. Arbeitsqualität und wirtschaftlicher Erfolg: Längsschnittstudie in deutschen Betrieben (Datendokumentation der fünften Welle). FDZ-Datenreport Nr. 6.
Ruf, Kevin; Mackeben, Jan; Haepp, Tobias; Wolter, Stefanie; Grunau, Philipp (2020): LPP – Linked Personnel Panel 1819. Arbeitsqualität und wirtschaftlicher Erfolg: Längsschnittstudie in deutschen Betrieben (Datendokumentation der vierten Welle). FDZ-Datenreport Nr. 11.
doi: 10.48720/IAB.FOO.20230725.01
Göschl, Michael; Grunau, Philipp; Weber, Enzo; Wolter, Stefanie (2023): Die Pandemie hat in Deutschland keinen Quiet-Quitting-Trend ausgelöst, In: IAB-Forum 25. Juli 2023, https://www.iab-forum.de/die-pandemie-hat-in-deutschland-keinen-quiet-quitting-trend-ausgeloest/, Abrufdatum: 24. November 2024
Autoren:
- Michael Göschl
- Philipp Grunau
- Enzo Weber
- Stefanie Wolter